So sehe ich das - Wolfgang Kohrt
Ist Falcos "Jeanny" ein Protestsong?
Es gehört zum Alltag unserer Redaktion, daß Leserbriefe kommen.
Wir freuen uns über Post, weil für uns das Gespräch mit
dem Leser zu den schönsten Ergebnissen und Impulsen unserer Arbeit
gehört. In einem Kommentar vom 16. Januar hatte ich zu dem Falco-Titel
"Jeanny" die Meinung geäußert, daß damit Sadismus im kulturellen
Gewand verbreitet wird. Im wahrsten Sinne des Wortes postwendend kam von
vielen Lesern eine Reaktion. Carola Röhme aus Sandersdorf z.B. schreibt,
- das Lied ‘Jeanny’ ist für mich wie ein Lied, das die gesellschaftlichen
Verhältnisse in der BRD kritisiert..." Stefan Fromme aus Leipzig fordert,
wir sollen 'gerecht kritisieren'. Viele fragen, warum das Lied im DDR-Rundfunk
lief. Das fragen wir uns auch.
Thomas Michael aus Halle ist einer derjenigen, die sich meiner Meinung
nähern. In bezug auf Kunst, Kultur, äußert er: |
"Wesentlich
ist doch dabei, daß man der Menschlichkeit und Menschenwürde
zum Durchbruch verhilft. Eben darum ging es mir, ud nicht um eine prinzipielle
Ablehnung Falcos, über den jeder seine eigene Meinung haben mag. Aber
leider konnte ich bei "Jeanny" nicht erkennen, daß für Menschlichkeit
und Menschenwürde gesungen wird.
Natürlich, man darf von einem Schlager nicht zuviel verlangen.
Aber auch nicht zu wenig. Natürlich haben auch wir anspruchslose,
auch seichte Lieder. Aber seicht ist doch nicht gleich inhuman. Es doch
unstreitig so, daß jeder Künstler mit seinem Beruf automatisch
Verantwortung übernimmt. Vor seinem Publikum, vor seiner Umwelt. Ob
er will oder nicht, er wird zum Botschafter euber Idee, die durch die modernen
Medien Spuren in Millionen Köpfen hinterläßt. Vielleicht
ist dadurch seine Verantwortung sogar weit
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größer, als die der
Künster früherer Jahrhunderte. Falco jedenfalls wir ihr, meiner Meinung nach, nicht gerecht. In “Jeannys”
Gesellschaftsordnung kollidiert wirkliche Kultur, auch Schlagerkultur,
oft mit den Interessen von Verkaufsstrategen. Deshalb wird oft von vorneherein
ein kulturelles Produkt auf hohe Absatzzahlen zugeschnitten. Dazy braucht
man nur irgendeine neuartige (abartige?) Idee, kein Ideal.
Selbst wenn man im günstigsten Fall von Zweitdeutigkeit ausgeht,
bleibt alles eine wohlkalkulierte Häßlichkeit. Der Musikredakteur
Thomas Brennecke vom Bayrischen Rundfunk in der BRD brachte es auf diesen
Nenner: In der Unterhaltungsindustrie ist es egal, mit welchen Methoden
man den Absatz sichert, Hauptsache, das Geschäft stimmt. Wenn inzwischen
unter dem Eindruck des Protestes in der BRD eine Fortsetzung von "Jeanny"
angekündigt wurde, in der sich alles in Wohlgefallen auglösen
soll, ist das für mich nur eine Bestätigung dessen.
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